Kein Interesse an gefallenen Serben

Arbeit des Haager Tribunals im Fall Racak bemängelt

Berliner Zeitung, 17.01.2004
Ressort: Politik
Autor: Markus Bickel
Seite: 06

SARAJEVO/HELSINKI, im Januar. Unverständnis über die Arbeit des Haager
UN-Tribunals im Fall des so genannten Massakers von Racak hat die
finnische Pathologin Helena Ranta geäußert. Die damalige Leiterin des
forensischen Teams, das von der EU zur Untersuchung der Vorgänge im
Kosovo-Dorf Racak im Januar 1999 entsandt wurde, bemängelte im Gespräch
mit der Berliner Zeitung, dass Hinweisen auf schwere Kämpfe zwischen
serbischen Soldaten und albanischen Kämpfern in der Nacht vom 15. zum
16. Januar 1999 im Raum Racak durch das UN-Tribunal nur unzureichend
nachgegangen wurde.
Die Tragödie in dem Kosovo-Dorf, bei dem vor genau fünf Jahren mehr als
40 Albaner starben, wurde von westlichen Politikern genutzt, um die
Öffentlichkeit von der Notwendigkeit des bevorstehenden Nato-Angriffs
auf Jugoslawien zu überzeugen. Eine zentrale Rolle spielte der
US-Diplomat William Walker. Der Chef der Kosovo-Mission der OSZE
bezichtigte umgehend die Serben, in Racak 45 unbewaffnete albanische
Zivilisten aus nächster Nähe exekutiert zu haben. Die serbische Seite
wies die Darstellung zurück und sprach von im Kampf gefallenen
UCK-Kämpfern.

Fotos nicht veröffentlicht.

Sie wisse, dass damals "UCK-Kämpfer in der Nähe von Racak begraben
wurden", sagte Ranta. "Ich habe schon seinerzeit Informationen
erhalten, die beweisen, dass dort auch mehrere serbische Soldaten
erschossen wurden.
Leider werden wir die genaue Zahl der in dieser Nacht gefallenen Serben
wohl nie erfahren. " Es sei "beim Tribunal nachzufragen, warum es sich
für deren Zahl nicht interessiert".
Ranta bemängelte, dass die Anklageschrift gegen den jugoslawischen
Ex-Präsidenten Milosevic im Fall Racak weitgehend der von Walker
überlieferten Tatversion folgt. "Wenn Botschafter Walker sagt, dass es
sich in Racak um ein Massaker gehandelt habe, hat diese Aussage
keinerlei rechtliche Wirkung. Ich habe schon damals erklärt, dass die
OSZE-Beobachter sämtliche Schritte, die man bei der Sicherung eines
Tatorts normalerweise erwartet, vergessen haben: die Isolierung des
Geländes etwa, den Ausschluss unautorisierter Personen sowie das
Einsammeln aller Beweisstücke. " Ranta forderte, zusätzlich zu den
OSZE-Fotos vom Tatort auch die Bilder von zwei weiteren Fotografen zu
veröffentlichen, die einige Stunden vor Ankunft der OSZE-Beobachter
gemacht wurden. Die Bilder zeigten, "dass mindestens einer der Körper
nachträglich bewegt wurde - dieser Leichnam ist auf den OSZE-Bildern
nicht zu sehen".

Im Stich gelassen.

In den Tagen vor Beginn der Nato-Angriffe auf Jugoslawien sei klar
gewesen, "dass eine ganze Reihe von Regierungen Interesse an einer
Version der Ereignisse von Racak hatten, die allein die serbische Seite
verantwortlich machten", so Ranta. "Diese Version konnte ich ihnen aber
nicht liefern. "
Ihre Instruktionen habe sie von dem deutschen Diplomaten Botschafter
Pauls erhalten. Der Vertreter der damaligen deutschen
EU-Präsidentschaft habe gebeten, eine schriftliche Stellungnahme
vorzubereiten. "Danach musste ich diese persönlichen Äußerungen William
Walker zeigen, der offensichtlich alles andere als begeistert war, als
er sie las. " Dennoch habe sie der Teilnahme an der wichtigen
Pressekonferenz vom 17. März 1999 zugestimmt. "Bei dieser saß ich
gemeinsam mit dem deutschen Botschafter in Belgrad, Gruber, und einem
finnischen Diplomaten auf dem Podium. Ich hoffte, die beiden Herren
würden mich unterstützen. " Das sei leider nicht der Fall gewesen. "Ich
hatte eher das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein", sagte Ranta.
Im Ergebnis der von Walker dominierten Pressekonferenz sahen die
meisten Medien die Version von einem serbischen Massaker an albanischen
Zivilisten bestätigt. Wenige Tage später begannen die Nato-Luftangriffe
auf Jugoslawien.

> http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/
> 2004/0117/politik/0039/
> index.html?keywords=Racak;ok=OK%21;match=strict;author=;ressort=;von=;b
> is=;mark=racak