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Date: Wed, 31 Mar 2004 14:12:54 +0200
From: Klaus von Raussendorff <redaktion@...>
Subject: [iso-8859-1] Vor fünf Jahren: Auf den Trümmern Jugoslawiens
begannen die neuen Kriege

Liebe Leute,

zum Fünften Jahrestag des NATO-Angriffs auf Jugoslawien dokumentiere
ich:

GRENZEN
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 24. März 2004, S. 12
[ 1 ]

5 JAHRE DANACH: DER 24. MÄRZ 1999 – EIN TAG DER SCHANDE
Rede von Klaus Hartmann auf der Kundgebung am 20. März 2004 in Duisburg
[ 2 ]

ZUM 5. JAHRESTAG DES NATO-ÜBERFALLS AUF JUGOSLAWIEN
Rede von Joachim Guilliard auf der Kundgebung am 27. März 2004 in
Mannheim
[ 3 ]

GENERAL JACKSON VERWEIGERT DEN BEFEHL -
VOR FÜNF JAHREN BEGANN DER KOSOVO-KRIEG
Von Jürgen Elsässer
„Freitag“ vom 26. März, 2004
[ 4 ]

KOSOVARISCHE FOLKLORE - DER SCHWARZE KANAL:
ZU DEN NEUERLICHEN GEWALTEXZESSEN DER SCHUTZBEFOHLENEN DER WESTLICHEN
WERTEGEMEINSCHAFT
Von Werner Pirker
„junge Welt“ vom 27. März, 2004
http://www.jungewelt.de/2004/03-27/029.php
[ 5 ]

AUF DEN TRÜMMERN JUGOSLAWIENS - DIE MILITARISIERUNG DEUTSCHER
AUSSENPOLITIK
IM SPIEGEL DER ZERSCHLAGUNG EINES STAATES
Von Cathrin Schütz*
„Neues Deutschland“ vom 26. März 2004
[ 6 ]

H i n w e i s :

Das serbische Parlament beschloss am 31. März 2004 ein Gesetz über die
Rechte der vom ICTY in Den Haag angeklagten Gefangenen in und ihrer
Familien. Dies ist als ein positiver Schritt zu bewerten, da der
serbische Staat beginnt, seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung
konkret nachzukommen, seine Staatsbürger zu schützen, die im Ausland
strafrechtlich verfolgt werden. Das Gesetz gewährt den Gefangenen in
Den Haag und ihren Familien eine sehr bescheidene finanzielle
Unterstützung (weiterlaufende Gehaltszahlungen für ehemals in Serbien
beschäftigte, Reisekosten für Besuche von Familienangehörigen, etwa 170
EUR für Telefonkosten pro Monat).

Ferner gewährt das Gesetz den Gefangenen die Übernahme der Kosten für
die Arbeit von zwei Anwälten (Rechtsberater und Mitarbeiter)
entsprechend der Gebührenordnung der serbischen Anwaltskammer (falls
diese Kosten nicht durch das ICTY übernommen werden). Näheres regelt
eine Regierungsverordnung, die binnen zwei Wochen zu erlassen ist. Nach
ersten Schätzung würde dies etwa 5000 EUR pro Anwalt und Monat bedeuten.

Dies ist im Falle des einzigartigen Umfangs des Prozesses von Präsident
Slobodan Milosevic offensichtlich unzureichend und, so ist zu
befürchten, dazu angetan, bisherige Spender zu demotivieren.

Der Aufruf zu Spenden wird daher vom Internationalen Komitee für die
Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM) nun umso nachdrücklicher
wiederholt. (siehe www.free-slobo.de)

Mit internationalistischen Grüßen
Klaus von Raussendorff

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[ 1 ]

Aus: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 24. März 2004, S. 12

GRENZEN

G.H: Fünf Jahre internationales Regime im Kosovo haben nicht gereicht,
die UN-Verwaltung und die Nato vor Überraschungen zu feien. Etwas
verwundert bemerkt der Chef der Kfor, dass das Netzwerk der längst
„aufgelösten“ UCK noch immer funktioniert, und der Nato-Generalsekretär
muss feststellen, dass die jüngsten Unruhen von albanischen Extremisten
hervorgerufen wurde. Doch wo beginnt im Kosovo der Extremismus? Der
nominelle Präsident Rugova fordert für die völkerrechtlich weiterhin
serbische Provinz eine „Unabhängigkeit ohne Kompromisse“. Sogar manche
CSU-Politiker scheinen in solchem Streben einen Ausdruck des
Selbstbestimmungsrechts der Völker zu sehen. Doch wenn die Albaner des
Kosovo ein Selbstbestimmungs- und damit auch ein Sezessionsrecht haben,
dann kann dies auch den dort lebenden Serben nicht verweigert werden -
sie könnten ihrerseits für die Abspaltung ihrer Siedlungsgebiete
votieren. Rugova ahnt die rechtliche Konsequenz und erklärt vorbeugend
die Grenzen der Provinz, also gewöhnliche serbische Verwaltungsgrenzen,
für „unantastbar“. Wenn diese Grenze nicht angetastet werden darf -
wieso dann die Staatsgrenze und das Staatsgebiet Serbiens?


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[ 2 ]

5 JAHRE DANACH:
DER 24. MÄRZ 1999 – EIN TAG DER SCHANDE

Rede von Klaus Hartmann auf der Kundgebung am 20.03.2004 in Duisburg

Bürgerinnen und Bürger,
liebe Genossinnen und Genossen!

Der Imperialismus führt eine Vielzahl von Kriegen – und wir
protestieren nicht gegen einzelne Kriege, sondern gegen den
imperialistischen Krieg, wir sind solidarisch mit allen Opfern des
Imperialismus.

In vier Tagen, am 24. März, ist es genau 5 Jahre her, dass uns im
Fernsehen Bundeskanzler Schröder kalt lügend angrinste: „Wir führen
keinen Krieg“ sagte er – da waren schon deutsche Kampfflugzeuge in der
Luft, und hatten schon ihre ersten Bomben auf Belgrad und andere
jugoslawischen Städte
abgeworfen.

Mit dem heutigen internationalen Aktionstag erinnern wir nicht nur an
den Beginn des Irakkrieges vor einem Jahr, sondern auch an den 5.
Jahrestag der NATO-Aggression gegen Jugoslawien am 24.März, als die
Schröder-Fischer-Regierung hemmungslos mitbombte.

Den 24. März 1999 verdängen und vergessen – das wollen sogar manche in
der Friedensbewegung. Allzu gerne wollen sie glauben, was Schröder und
Fischer gebetsmühlenartig wiederholen: „Deutsche Außenpolitik ist
Friedenspolitik“.

Wir leisten dieser Lüge keine Gefolgschaft. Der Krieg gegen Jugoslawien
war – wie der Krieg gegen den Irak – völkerrechtswidrig, ein
verfassungswidriger Angriffskrieg.

Der 24. März 1999 ist ein Tag der Schande, untilgbares Schandmal
deutscher Politik, der erste Angriffskrieg Deutschlands nach 1945.

Vor einem Jahr gab Schröder den Friedensengel - um vergessen zu machen,
dass er der Kriegskanzler ist.

Wir verurteilen die USA wegen ihres Krieges und der Besatzung im Irak –
aber das macht uns nicht blind für die Verbrechen des deutschen
Imperialismus. Und unsere Gegnerschaft zum deutschen Imperialismus
macht uns nicht zu
Befürwortern der Kriege des US-Imperialismus, wie es die
„antideutschen“, „antinationalen“ Irrläufer propagieren.

Immer, wenn Deutschland seinen Nachholbedarf in Sachen Raubkrieg
verspürte, richteten sich seine Blicke auf den Balkan. „Die deutsche
Not und Notwenigkeit treibt südostwärts“, schrieben schon die
geopolitischen Strategen des deutschen Imperialismus Ende des 19.
Jahrhunderts. Das war 1914 so – und 1941 – und wieder ab 1990.

Beim Krieg gegen den Irak kommt jeder schnell darauf: ein Krieg für Öl!
Afghanistan und Irak – die Namen der Länder stehen synonym für das Öl
im Nahen und im Mittleren Osten.

Aber Jugoslawien, Kosovo? Wo gibt’s da Öl? - höhnte die Medienmeute.
Aber Rohstoffe müssen transportiert werden. So wichtig wie die
Kontrolle der Quellen ist die Kontrolle der Transportwege.

An der bulgarischen Schwarzmeerküste kommt das Öl vom Mittleren Osten,
vom Kaspischen Meer an. An der Schwarzmeerküste geht das Öl sozusagen
„an Land – aber wie bitte kommt es ans Mittelmeer, in die albanischen
Hafenstädte? Genau: Hier, auf dem Weg, liegt Südserbien, Kosovo,
Mazedonien!

Kein Wunder, dass ausgerechnet dort eine so genannte humanitäre
Katastrophe gefunden wurde, genau dort eine so genannte humanitäre
Katastrophe verhindert werden musste. Kein Wunder, dass hier mit Camp
Bondsteel im Kosovo der größte US-Stützpunkt im Ausland nach dem
Vietnam-Krieg errichtet wurde.

Wo die ökonomischen Interessen der imperialistischen Länder
durchgesetzt werden, muss die Souveränität der Länder in der Region
gebrochen werden. Länder, die sich nicht willig in ihr Schicksal fügen,
werden mit Gewalt gebrochen.

Beim Angriff auf den Irak lag der Unterschied zwischen USA und
deutsch-französischem Europa nicht beim Ziel, sondern in der Wahl der
Mittel. Übereinstimmung bestand darin, sich das Öl unter den Nagel zu
reißen und die Souveränität des Irak zu beenden.

Wir erinnern dass Josef Fischer kurz vor Beginn der Aggression einen
Plan unterbreitet hatte: auch danach hätte der Irak seine Souveränität
beenden und fremde Truppen ins Land lassen müssen. Bei der Zielsetzung
des so genannten „Regimewechsel“ waren sich die imperialistischen
Länder einig.

Genau ein solcher „Regimewechsel“ war auch das Ziel der Aggression
gegen Jugoslawien – die jugoslawische Regierung, die sich dem Diktat
von Weltbank und Weltwährungsfond, den Herren der „neuen Weltordnung“
widersetzte, hatte in deren Augen ihr Existenzrecht verwirkt.
War der Vorwand im Irak die angeblichen „Massenvernichtungswaffen“,
waren es im Kosovo die angeblich bedrohten Menschenrechte. Im Irak wie
in Jugoslawien ging es um ein Ende der Freiheit und souveränen
Gleichheit der Länder, um den Bruch des Völkerrechts.

Um ihren Bruch des Völkerrechts zu bemänteln, diffamieren die
Aggressoren den irakischen Widerstand als „Terroristen“. Um den
Widerstand zu diskreditieren, suchen sie ihm Anschläge gegen die
Zivilbevölkerung unterzuschieben, Anschläge, die eindeutig die
Handschrift von Al CIAda tragen.

Um die NATO-Aggression gegen Jugoslawien zu legitimieren und mit
anderen Mittel fortzusetzen, wurde das so genannte Haager „Tribunal“
geschaffen, wo die Aggressoren über die Vertreter des überfallenen
Landes zu „Gericht“ sitzen.

Ein „Tribunal“, das nicht von der UNO finanziert wird, sondern von
einer Kriegspartei – von Rockefeller und Soros, von Time Warner und
CNN; also von genau jenen, die mit ihrer Hetze in den Medien die
„Anklage“ vorproduziert haben, den Spezialisten für Volksverhetzung und
Gehirnwäsche.

Genauso wie das Märchen von den Massenvernichtungswaffen im Irak sind
auch alle Kriegszwecklügen gegen Jugoslawien geplatzt.

Doch statt Schadensersatz für die Aggressionsopfer zu zahlen, fordern
sie deren Zusammenarbeit mit ihrem „Tribunal“, betreiben die permanente
politische Erpressung, die permanente Unterwerfung unter das Diktat von
Weltbank und Weltwährungsfonds, die permanente Zerstörung des
Völkerrechts.

Wir fordern:

Schluss mit der Besatzung – im Irak, in Palästina und auf dem Balkan!

Freiheit alle politischen Gefangenen unter der Besatzung im Irak und in
Palästina!

Freiheit für Slobodan Milosevic und alle politischen und
Kriegsgefangenen der NATO!

Es lebe der freie Irak, das freie Palästina, das freie Jugoslawien!

Hoch die Internationale Solidarität!

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]

REDE IN MANNHEIM AUF DER DEMO ZUM 5. JAHRESTAG DES NATO-ÜBERFALLS AUF
JUGOSLAWIEN

Von Joachim Guilliard

Pünktlich zum 5. Jahrestag meldet sich der Kosovo zurück – erinnert an
das Desaster, das der NATO-Überfall und die anschließende Besatzung
hinterlassen haben.

Wir alle erinnern uns sicherlich noch gut, an den Kriegsbeginn vor 5
Jahren, es war der 24. März 1999, ein Mittwoch. Die NATO-Kampfflugzeuge
von ihren Flugbasen in den USA, in Deutschland, Italien, dem bereits
besetzten Bosnien und den Flugzeugträgern im Mittelmeer aufstiegen, um
pünktlich um acht Uhr abends ihre Bombenlast über Jugoslawien
abzuwerfen. Deutsche Tornados flogen diesmal stolz vorne mit. Sie
trugen am Rumpf das gleiche Balkenkreuz wie einst die Stukas, die im
April 1941 über Jugoslawien herfielen und Belgrad in Schutt und Asche
legten.

Es war der erste Krieg, an dem sich die Bundesrepublik Deutschland
offen beteiligte und dies gegen ein Land, das besonders schwer unter
dem deutschen Faschismus gelitten hatte.

Es war ein sehr feiger Krieg,

indem eine hundertfach überlegene Militärallianz über ein kleines,
schon seit Jahren belagertes Land herfiel. Die Angriffe erfolgten
ausschließlich aus der Luft, aus sicherer Entfernung. Selbst praktisch
unangreifbar, säten sie mit High-Tech- und international geächteten
Waffen Tod und Verderben.

Es war ein sehr zerstörerischer Krieg:

32 000 Einsätze flog die NATO, 78 Tage dauerte das Bombardement,
während dessen mehr Sprengstoff eingesetzt wurde, als während des
ganzen Zweiten Weltkrieges auf dem gesamten Balkan. Militärisch waren
die Erfolge gering, sie konnten den jugoslawischen Verteidigungskräften
keine größeren Verluste zufügen. Die NATO dehnte daher die Angriffe auf
zivile Ziele aus, um so die jugoslawische Regierung zur Kapitulation zu
zwingen

Die Folgen des Dauerbombardements waren, wie nicht anders zu erwarten,
verheerend:

Tausende Frauen und Männer, Kinder und Greise wurden erschlagen, die
Infrastruktur und ganze Bereiche der Wirtschaft zerstört, die Umwelt
schwer geschädigt. Der Öffentlichkeit in den NATO-Staaten sind die
angerichteten Schäden bis heute nicht bekannt, hier glaubte man gerne
die Mär von den zielgenauen Angriffen. [Einer dieser Angriffe auf
Zivilisten wird mittlerweile vor deutschen Gerichten verhandelt. In der
Kleinstadt Vavarin war eine militärisch völlig bedeutungslose, aber
stark begangene Brücke am helllichten Tag und bester Sicht von
NATO-Kampfflugzeugen zerstört worden. Zehn Menschen wurden dabei
getötet und 16 verletzt ]

Es war ein völkerrechtswidriger Krieg,

genau wie der gegen Irak. Auch er wurde mit ähnlich dreisten Lügen
vorbereitet, Keine Lüge war der Nato zu grotesk, um ihre Kriegsmaschine
in Gang zu bringen und am Laufen zu halten: das angebliche Massaker von
Racak, KZs in Pristina, Hufeisenpläne usw.
Slobodan Milosevic, der sich stets für den Erhalt eines multiethnischen
Jugoslawien eingesetzt hatte, wurde auf übelste Weise dämonisiert,
wurde als faschistischer Nationalist, als Wiedergänger Hitlers
dargestellt.

Vor allem der damalige deutsche Militärminister Scharping –
bezeichnender Weise von der SPD – ließ seiner Phantasie freien Lauf und
erzählte ein Gräuelmärchen nach dem anderen: Serben, die mit
abgeschnittenen Albanerköpfen Fußball spielen oder Serben die Föten
grillen. Der olivgrüne
Außenminister bemühte gar „Nie wieder Auschwitz!“ um die Zustimmung der
einst bis dahin als friedliebend geltenden Grünen zum Krieg zu
rechtfertigen.. Der dritte deutsche Angriff auf Serbien wurde so von
Rot-Grün zum Kampf gegen die „Fratze der eigenen Geschichte“.

Auch da wo die Gräuel weithin sichtbar wurden, wie bei den Zerstörung
von Chemieanlagen in der Nähe von Großstädten, wurde von den Medien die
humanitäre Tat nicht in Zweifel gezogen: Schuld an allem war ohnehin
Milosevic – der den Krieg gewollt habe und nun skrupellos – so ein
Balkan-Korrespondent der ARD – „sein Land in die Steinzeit zurückbomben
lassen“ würde.

Noch nie haben so wenige so viele so gründlich belogen wie im
Zusammenhang mit dem Kosovokrieg“ war das Fazit des
CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer, Vizepräsident der
Parlamentarischen Versammlung der OSZE, einer der
wenigen dt. Politiker, die sich der Kriegsbegeisterung entgegen
gestellten.

Obwohl die Lügen ebenso rasch entlarvt wurden wie die beim Irak-Krieg,
hat sich die mehrheitliche öffentliche Meinung über ihn in den letzten
5 Jahren kaum geändert. Die OSZE-Kommission die vor den Krieg im Kosovo
war, hat von Anfang an die Berichte über jugoslawischen
Vertreibungsmaßnahmen
zurückgewiesen. Suchtrupps fahndeten nach Kriegsende so vergeblich nach
Spuren der Massaker, denen angeblich mehrere hunderttausend Albaner zum
Opfer gefallen waren, wie die US-Teams nach MVW im Irak. Auf Grund
einer anderer Interessenslage als im Irak, haben die deutschen Medien
sich bzgl. Jugoslawien geflissentlich blind und taub gestellt.

Auch große Teile der Linken und der FB erwiesen sich als äußerst
anfällig für die Propaganda der „humanitären Intervention“. Auch viele
derer, die Krieg als Mittel der Intervention ablehnten, übernahmen das
antiserbische Feindbild und stimmten letztlich mit den Zielen der NATO
überein. Gegen jegliche historische Erfahrung, glaubten sie und glauben
noch heute, dass nur das westliche Kriegsbündnis den zivilisatorischen
Auftrag der Befriedung und Demokratisierung des Balkans durchsetzen
könne. Eine Haltung, die auch jetzt wieder bezüglich der
angloamerikanischen Besatzung des Iraks weit verbreitet ist.

„Die Dämonisierung eines Volkes, der Serben, und seines frei gewählten
Präsidenten gelang so perfekt, dass nur wenige Deutsche wagten, gegen
die NATO-Angreifer zu protestieren. Zumindest nicht, ohne gleichzeitig
die Angegriffenen zu verurteilen und dadurch dem Protest die Schärfe
und Wirksamkeit zu nehmen.“ (Ralph Hartmann, Ossietzky 5/2004)

Wir, die Gegner des Krieges, haben schon damals auch davor gewarnt, daß
der Mißbrauch der Menschenrechte zur Begründung von Kriegen die
Schleusen für immer weitere Kriege öffnen wird. „Dass der Versuch der
UNO, mit dem
absoluten Gewaltverbot den Krieg aus der Politik der Staaten zu
entfernen, ausgerechnet mit den Menschenrechten unterlaufen wird, ist
eine der größten Niederlagen nicht nur der UNO, sondern dessen, was wir
Zivilisation nenne,“ sagte Norman Paech in Berlin

Das Völkerrecht wurde zertrampelt, die neue NATO-Doktrin, die während
des Krieges verabschiedet wurde, gleich schon vorweggenommen: mit der
sich das Kriegsbündnis vorbehält, selbst mandatiert und präventiv
einzugreifen, wo Interessen der Bündnisstaaten im Spiel sind.

Und heute? Was uns als Krieg gegen die Katastrophe verkauft wurde,
führte zum Desaster eines andauernden Bürgerkriegs, der zur weiteren
Aufsplitterung des Balkans führen wird. Nicht ohne Grund sehen darin
viele das eigentliche Ziel des NATO-Krieges."

Die Vertreibung der überwiegenden Mehrheit der nicht-albanischen
Bevölkerung war bekanntlich das unmittelbare Resultat der Besetzung des
Kosovos durch die NATO. Deutlich demonstrieren die aktuellen
Ereignisse, dass sich die
Verhältnisse seither kein bisschen verbessert haben.

[Nun erneut heftige Gewaltausbrüche albanischer Nationalisten gegen die
Reste, der im Kosovo verbliebenen Serben, forderten mindestens 28 Tote
und über 500 Verwundete. 30 orthodoxe Klöster und mehr als 300
serbische Häuser wurden niedergebrannt. Ziel der progromartigen
Übergriffe ist oft die Beseitigung der letzten serbischen Enklaven
durch Vertreibung: "In Prizren gibt es jetzt keine Serben mehr"
meldeten gestern die Medien. Obwohl Pogrome der albanischen
Separatisten sich auch gegen andere
Bevölkerungsgruppen richtet, unterstellen Medien auch jetzt wieder
Serben Mitschuld – von „Auseinandersetzungen“ etc.]

Der damalige NATO-Oberbefehlshaber, General Wesley Clark prophezeite,
daß der Krieg gegen Jugoslawien »ein ganz entscheidender Präzedenzfall
für das kommende Jahrhundert« sei. – Das neue Jahrhundert kam und mit
ihm die neuen Kriege gegen Afghanistan und Irak.

Die Aggression verfolgte viele Ziele. Es ging zum einen darum, das
einzige Land in Europa, in dem es eine Regierung gab, die sich dem
Willen der Bevölkerung gebeugt hatte und sich den Forderungen der
Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds widersetzte, endgültig
zu zerschlagen. Es ging
aber auch darum durch einen Präzedenzfall die neue NATO-Strategie
einzuführen, sowie den Einfluß Rußlands auf dem Balkan zu schwächen und
mit dem Sieg gegen Jugoslawien der NATO den Weg nach Osten zu ebnen.

In Jugoslawien demonstrierten die einzig verbliebene Supermacht und
ihre Verbündeten unverblümt ihre globalen Hegemonialansprüche. Allen
potentiell Unbotmäßigen wurde vor Augen geführt, dass sie sich von nun
ab auf Staatensouveränität und Völkerrecht nicht mehr verlassen können,
sondern das nun – nach dem Ende der SU – allein das Faustrecht des
Stärkeren gilt und jegliche Eigenwilligkeit schwächerer und abhängiger
Staaten hart und falls erforderlich auch präventiv bestraft werden kann.

In diesem Sinne baut Scharpings Nachfolger Struck die Bundeswehr um.
Gemäß seinem neuen strategischen Konzept ist die klassische
Landesverteidigung passé. Benötigt und aufgebaut werden
»Einsatzkräfte«, die »mit hoher Intensität« in »allen Dimensionen
(Land-, Luft-, See-, Welt- und
Informationsraum) operieren« können. »Mögliches Einsatzgebiet ist die
ganze Welt«,

Mit ihrer Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien hat die SPD-Grünen
Regierung Deutschland wieder in den Kreis der Militärmächte
zurückgebracht, deutsche Kriegseinsätze gehören schon fast zum Alltag,
die „Enttabuisierung des Militärischen“, die sich Schröder zur Aufgabe
gemacht hat, ist gelungen.

Die Bundeswehr hat sich im Kosovo fest einquartiert und tagtäglich wird
im dortigen Soldatensender das Lied von der Lili Marleen ausgestrahlt.
Mittlerweile wird es von unseren Jungs auch an der deutschen
Verteidigungslinie am Hindukusch gesungen. Bald auch zwischen Euphrat
und
Tigris?

Im Verein mit den Kumpanen war es Deutschland schließlich doch
gelungen, woran es – wie sich Klaus Kinkel einmal ausgedrückt hatte –
zweimal zuvor gescheitert war. Der Balkan stand unter vollständiger
westlicher Kontrolle und mit die gewichtigste Position nimmt
Deutschland dabei ein. So war z.B. bis zur Einführung des Euro die DM
die Währung im Kosovo, übernahmen deutsche Banken die Leitung der
Geldgeschäfte in der südserbischen Provinz.

Raph Hartmann: „Die imperialistischen Staaten haben zwar nur den Kosovo
besetzt, regieren aber im ganzen Land. Der Staat »Serbien und
Montenegro« steht unter kaum verdeckter Fremdherrschaft. Im Hintergrund
schalten und walten, steuern und erpressen die Weltbank und der IWF,
die USA, die EU und
die NATO, die westlichen Banken und Konzerne sowie nicht zuletzt das
Haager Jugoslawientribunal und seine umtriebige Chefanklägerin Carla
del Ponte.

Ein gutes Jahr nach Kriegsende gelang es schließlich auch die Regierung
von Slobodan Milosevic zu stürzen. Die Restauration kapitalistischer
Gesellschaftsverhältnisse schritt von nun an zügig voran. Das
Privatisierungsgesetz vom Mai 2001 versetzte der jugoslawischen
Selbstverwaltung den Todesstoß, enteignete das Volk und verschleuderte
die
Betriebe in einer Art Sommerschlußverkauf an private Unternehmer; die
wertvollsten wurden Beute ausländischer Konzerne. Wie in anderen
ehemaligen sozialistischen Ländern gerieten die meisten Zeitungen
inzwischen in die Hände ausländischer Aktionäre und Verlage. Die
Politika , die traditions- und einflußreichste Zeitung, befindet sich
nun im Besitz der deutschen WAZ -Gruppe (deren jetziger Chef Bodo
Hombach Schröders Balkan-Beauftragter war).

Wer weiß, welche enormen Aufbauleistungen in Jugoslawien – dem zuvor
äußerst rückständigen Land – nach 1945 geleistet worden war, kann jetzt
nur noch mit Bestürzung sehen, daß Jugoslawien nun sogar dem Namen nach
von der politischen Landkarte getilgt ist und alle Errungenschaften den
Bach runter gingen, das Land wieder zu einem der ökonomischen
Schlusslichter in Europa wurde.

Wie die letzten Wahlen zeigten, ist die Bevölkerung Serbiens nicht
gewillt das Spiel länger mitzuspielen. Wir müssen das unsere hier tun
um ihr den Rücken zu stärken.

Der erste Schritt ist, deutlich zu machen, dass die NATO-Staaten nie
Teil der Lösung sein können, sondern das Hauptproblem sind.

Nach wie vor kann unsere Forderung nur lauten: NATO raus aus dem Kosovo
– nur die Wiederherstellung der Souveränität Serbiens über die Provinz
eröffnet Chancen für Sicherheit für alle und die Rückkehr der
Vertriebenen.

Wir fordern den Rückzug der NATO aus dem ganzen ehem. Jugoslawien und
die Respektierung der Souveränität und des Selbstbestimmungsrechts der
dort lebenden Völker (das nicht mit einem Recht auf Separation zu
verwechseln ist).

Wir fordern ein Ende des Zwangs zu neoliberalen Umstrukturierungen –
egal ob militärisch, wirtschaftlich oder politisch – auf dem Balkan und
anderswo.

Wir fordern ein Ende der Militarisierung in Deutschland und EU, sowie
den Abbau der Interventionskräfte.

Wir fordern ein Ende der westlichen Kriegs- und Interventionspolitik –
vom Balkan über den Irak bis Afghanistan.


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[ 4 ]

Aus: „Freitag“ vom 26. März, 2004

GENERAL JACKSON VERWEIGERT DEN BEFEHL -
VOR FÜNF JAHREN BEGANN DER KOSOVO-KRIEG

Von Jürgen Elsässer

Als er zu Ende ging, riskierte die NATO einen militärischen
Schlagabtausch mit Russland. Der Dritte Weltkrieg begann in
Jugoslawien. Am 10. Juni 2009 rückten russische Eliteeinheiten aus dem
nahen Bosnien über die Drina vor und erreichten in den frühen
Morgenstunden Pristina, die Hauptstadt des Kosovo. Die dort
verbliebenen Serben säumten die Einfallstraßen und schmückten die
Panzer mit Rosen, boten den slawischen Brüdern Brot und Salz, den
traditionellen Gruß. Doch die stählernen Kolosse rasselten weiter,
hinaus auf den Flughafen der Stadt, besetzten das Rollfeld. Im
NATO-Hauptquartier in Brüssel war man von dem Coup überrascht, im Oval
Office ließ sich der Präsident das Rote Telefon bringen. Doch sein
Gesprächspartner im Kreml ließ sich verleugnen, die Lage blieb unklar.
War der Handstreich eine Aktion der sowjetisch geprägten Generalität,
gar der Auftakt zu einem Putsch der Alten Garde? Nach zwei Stunden
hektischer Konferenzen war die Antwort des Nordatlantikpaktes klar:
Britische Truppen aus dem Kosovo-Korps KFOR kesselten den Flughafen von
Pristina ein und
forderten den russischen Kommandanten zur Übergabe auf. Nach Ablauf des
Ultimatums stürmten Fallschirmjäger den Tower, Apache-Hubschrauber
schalteten die Artillerie des Gegners aus. CNN hatte die Nachricht über
die "Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung im Kosovo auf der Grundlage
der UN-Resolution 1244" gerade verbreitet, als das U-Boot Wladiwostok,
das sich in der Adria auf Tauchfahrt befand, zwei Marschflugkörper auf
den kosovarischen US-Stützpunkt Bondsteel abschoss. Der US-Präsident
bestieg die
Air Force One und gab der 6. Flotte den Befehl, ihre Ankerplätze im
Mittelmeer zu verlassen und durch die Dardanellen vorzustoßen: Kurs auf
die russische Schwarzmeerküste.

Order zum Sturmangriff

Eine Zukunftsgeschichte? Nur zum Teil. Die beschriebene Eskalation hat
bereits angefangen, und zwar schon zehn Jahre vor dem fiktiven Datum -
am 10. Juni 1999. Nach der Kapitulation der jugoslawischen Armee im
Kosovo sind
tatsächlich russische Truppen aus Bosnien nach Pristina vorgerückt. Auf
ihren Fahrzeugen hatten die Soldaten die Aufschrift SFOR, die sie als
Teil der UN-mandatierten Stabilisierungstruppe im Nachbarstaat auswies,
hastig zu KFOR umgepinselt. KFOR, das war die gerade erst beschlossene
Besatzungsstreitmacht für das Kosovo. Der russische Präsident Boris
Jelzin hatte zugestimmt, dass sie unter dem Oberbefehl der NATO
gebildet wurde - doch seine Generäle wollten wenigstens dafür sorgen,
dass die strategisch wichtige Hauptstadt der Provinz nicht in die Hände
des alten Feindes fiel.

Die schnell nachrückenden Truppen des britischen KFOR-Kontingents
hatten die Kanonen auf die renitenten Besatzer des Flugplatzes
gerichtet, aus Brüssel wurde die Order zum Sturmangriff gegeben - da
bewahrte ein Mann seine
Kaltblütigkeit und verweigerte den Befehl. Michael Jackson, der
britische Oberkommandeur der KFOR, brüllte seinen Vorgesetzten am
Telefon an: "Ich werde doch für Sie nicht den Dritten Weltkrieg
riskieren." Nur wegen dieser
Befehlsverweigerung fand der Angriff nicht statt, und nur deswegen
konnte mit den Russen noch eine gütliche Einigung gefunden werden.
Hätte die NATO so funktioniert, wie es ihr Reglement vorsieht, wären
die Folgen nicht auszudenken gewesen.

Der General, der an diesem Tag mit dem Äußersten pokerte, war der
damalige NATO-Oberbefehlshaber, der US-Amerikaner Wesley Clark. Die
Unbotmäßigkeit von Jackson nahm er zähneknirschend hin - eigentlich
hätte er den
Weltkriegsverweigerer von der Militärpolizei festnehmen lassen müssen.
Ein deutscher General hat das im Nachhinein kritisiert. "Das
schwächliche Zurückweichen von Briten und Amerikanern war sicher die
falsche Antwort in einer Situation, die niemals zu einem ernsten
Konflikt zwischen der NATO und
Russland geführt hätte", schrieb Klaus Naumann, damals Vorsitzender des
NATO-Militärausschusses und damit höchster europäischer Offizier im
Bündnis (*).

Dass der Planet in jenen Tagen am Rande einer gefährlichen Eskalation
stand, ist nie ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gekommen,
weil die zuständigen NATO-Gremien den Konflikt gedeckelt haben. Der
Brite Jackson wurde wegen seiner Befehlsverweigerung nie offiziell
gerügt, sondern konnte seine Amtszeit als KFOR-Kommandeur untadelig zu
Ende bringen. Clarks Karriere hingegen bekam einen Knick.
US-Generalstabschef Hugh Shelton erwirkte seine Versetzung in den
vorzeitigen Ruhestand, aus "Gründen der Integrität und des Charakters".

Kein GI im Kampf getötet

Fünf Jahre später probte der Brandstifter von damals eine zweite
Karriere: Clark bewarb sich als Kandidat der Demokratischen Partei für
die Präsidentschaftswahlen im Herbst 2004. Er konnte sich zunächst
breiter Unterstützung erfreuen, die vom ehemaligen Präsidentenberater
Zbigniew
Brzezinski über den Multimilliardär George Soros bis zum Filmregisseur
und Bestsellerautor Michael Moore reichte. Doch besser als Clark
schnitt bei den Vorwahlen John Kerry, der Senator von Massachusetts, ab
- viele sehen in ihm bereits den Nachfolger von George W. Bush. Kerry
gilt als gemäßigter Gegner der US-Kriegspolitik. Dabei wird übersehen,
dass er - ähnlich wie Clark - beim Angriff auf Jugoslawien zu den
Falken gehörte. "Er unterstützt die Entsendung von Bodentruppen in das
Kosovo", meldete die US-Presse im April 1999 (**). Das war eine
Position, die damals noch nicht einmal im NATO-Hauptquartier
durchsetzungsfähig war.

Bei ihrem Comeback profitieren die US-Demokraten von der allgemeinen
Geschichtsvergessenheit: Zum fünften Jahrestag des von ihrem
Präsidenten William Clinton unterstützten NATO-Überfalls auf
Jugoslawien ist die Erinnerung daran geschwunden. Alle Augen sind auf
die neuen Schlachtfelder im Nahen und Mittleren Osten gerichtet. Mit
den steigenden Verlusten der US-Amerikaner im Irak und in Afghanistan
meldet sich das Gespenst Vietnam zurück, das nach den Blitzsiegen über
die Taleban und über das Regime Saddam
Husseins so erfolgreich gebannt schien. Wird die Supermacht am Euphrat
und am Hindukusch in einen Abnutzungskrieg wie einst am Mekong
gezwungen? Wie lange kann der ökonomisch kränkelnde Riese die Kosten
für die Besatzung noch aufbringen? Was passiert, wenn immer mehr tote
Boys im Body Bag zurückkommen?

Die Demokraten können darauf verweisen, dass die Kriege Clintons, ganz
anders als die seines Nachfolgers, erfolgreich zu Ende gingen,
jedenfalls von Washington aus betrachtet. Auf dem Balkan ist kein
einziger GI im Kampf getötet worden, ein Teil der Truppen konnte
bereits zurückgezogen werden.
Bosnien und das Kosovo sind befriedete Provinzen des Imperiums
geworden, Serbien ist zumindest kein Schurkenstaat mehr. Die übrigen
Fragmente des einst großen Jugoslawien - Slowenien, Kroatien,
Mazedonien, Montenegro -
wetteifern darum, wer der NATO besser dienen könnte.

Auch in Deutschland hofft die Regierung auf einen Machtwechsel im
Weißen Haus. Mit Clinton ist Gerhard Schröder besser gefahren: Mit ihm
hat man sich die balkanische Beute recht einvernehmlich aufgeteilt,
während der hemdsärmlige Texaner Bush nun den deutschen Firmen
Geschäfte im Zweistromland verwehren will, nur weil die Bundeswehr beim
Angriff auf Irak etwas abseits stand. Kein Wunder also, dass dieselben
deutschen Medien, die 1999 Schröder und Clinton jedes Märchen glaubten,
nun fleißig die Lügen von Bush und dem britischen Premier Tony Blair
aus dem Jahr 2003 aufdecken. So weiß jeder halbwegs interessierte
Deutsche, wie fadenscheinig das Gerede von den irakischen
Massenvernichtungswaffen war, und wie unverblümt Bush mit der
Behauptung gelogen hat, Saddam habe sich in Schwarzafrika Uran für
Atombomben besorgen wollen. Auch den peinlichen Auftritt von
Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat wird man nicht
vergessen, als er fehlende Beweise mit windigen Dias und
zusammengestoppelten Tonbandaufnahmen ersetzen wollte. Von Rudolf
Scharpings Hufeisen-Finte von 1999 aber haben
die wenigsten gehört.

Varianten des Intervenierens

Je mehr Bush wackelt, um so mehr werden sich seine gemäßigten Kritiker
verkneifen, auf die Leichen im Keller der demokratischen Opposition
hinzuweisen, um deren Wahlchancen nicht zu gefährden. Spiegelbildlich
wird sich derselbe Vorgang hierzulande abspielen: Je stärker Schröder
unter Druck von Angela Merkel und Edmund Stoiber kommt, um so mehr
werden sich die moderaten Kriegsgegner hinter dem Sozialdemokraten
zusammenscharen, um den Machtwechsel zu einem Kanzler der Union zu
verhindern. Alle vereint gegen Bush, alle vereint für Schröder - und
deshalb kein Wort mehr über den Überfall auf Jugoslawien, mit dem jener
nichts und dieser sehr viel zu tun hatte.

Dieses taktische Schweigen wird künftige Kriege nicht verhindern
helfen, sondern sie vorbereiten. Wenn die NATO, assistiert von den
Richtern in Den Haag, alle Verantwortung für die 3.000 zu Tode
gebombten Jugoslawen deren ehemaligem Präsidenten Slobodan Milosevic
zuweisen kann, wenn also trotz aller Kritik am Krieg 2003 der Krieg
1999 als gerechtfertigt im kollektiven Gedächtnis bleibt, wird die
Friedensbewegung immer Schlagseite haben. Sie wird auf Unterstützung
zählen können, wenn sie gegen den unilateralen Amok der Bush-Leute
wettert - aber gegen innerhalb der NATO besser abgestimmte Aggressionen
wie auf dem Balkan wird sie die Segel streichen müssen. Die Kombination
von Menschenrechtsdemagogie und Militärgewalt, die Verkleidung
der NATO als bewaffneter Arm von Amnesty könnte auf Dauer erfolgreicher
sein als der offene Machtanspruch der texanischen Öl-Lobby. Je tiefer
die US-Army zwischen Bagdad und Basra im blutigen Morast versinkt, umso
verführerischer wird eine alternative Variante des Intervenierens
präsentiert werden: Man greift vermeintliche Schurkenstaaten nicht
frontal an, sondern hetzt deren Bevölkerung entlang der ethnischen und
religiösen Bruchlinien gegeneinander auf, gießt über so genannte
Nichtregierungsorganisationen Benzin ins Feuer, wartet den Ausbruch des
offenen Bürgerkrieges ab und ist erst im letzten Stadium mit eigenen
Soldaten vor Ort. Das hat in Kroatien, Bosnien, im Kosovo und in
Mazedonien geklappt - und in der Regel ganz ohne UN-Mandat.

Die weiteren Stationen bei diesem Vorgehen könnten Weißrussland,
Moldawien, die Ukraine und andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion
sowie die rohstoffreichen Republiken in Zentralafrika sein. Und wenn
sich atomar gerüstete Länder wie Indien, Russland und China die
Salami-Taktik nicht gefallen lassen und der so genannten humanitären
Einmischung militärisch Paroli bietet, wird sich den beteiligten
Militärs schnell die Frage stellen, die uns am Anfang begegnet ist:
Soll ich dafür den Dritten Weltkrieg riskieren? Dann kann man nur
beten, dass Generale wie Clark und Naumann nicht das Kommando haben.

(*) Klaus Naumann, Frieden - der noch nicht erfüllte Auftrag, Bonn
2002, S. 60

(**) Tricia Mohan, Despite spectre of Vietnam, Kerry ‚66 defends
Kosovo, in: Yale Daily News, 20.4.1999

Leicht gekürzte Fassung des Nachworts aus dem Ende des Monats
erscheinenden Buch von Jürgen Elsässer: Kriegslügen. Vom
Kosovo-Konflikt zum Milosevic-Prozess. Verlag Kai Homilius Berlin 2004.
Buchpremiere ist am 30.
März um 18 Uhr in Berlin, Kulturzentrum KATO am U-Bahnhof Schlesisches
Tor.


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[ 5 ]
Aus „junge Welt“ vom 27. März, 2004

http://www.jungewelt.de/2004/03-27/029.php

KOSOVARISCHE FOLKLORE

DER SCHWARZE KANAL: ZU DEN NEUERLICHEN GEWALTEXZESSEN DER
SCHUTZBEFOHLENEN
DER WESTLICHEN WERTEGEMEINSCHAFT

Von Werner Pirker

Man gibt sich entsetzt und bestürzt über die neuerlichen Gewaltexzesse
im Kosovo. Und es läßt sich auch nicht leugnen, daß es die
Schutzbefohlenen der westlichen Wertegemeinschaft sind, die ihren
anderssprachigen Nachbarn die Häuser über dem Kopf anzünden, sie
ermorden oder vertreiben. Das wird von der internationalen
Kolonialverwaltung und dem westlichen Medienverbund als »schwerer
Rückschlag« im Hinblick auf den Aufbau einer multiethnischen
Gesellschaft betrachtet. Moderne Besatzungsregime verfolgen nämlich
politisch korrekte Absichten. Solche sind nicht auf die Unterwerfung
fremder
Länder gerichtet, sondern auf die uneigennützige Hilfe bei der
Errichtung von Zivilgesellschaften. Genau das aber findet innerhalb der
albanischen Gesellschaft wenig Anklang. Die kann sich im Kosovo nur
eine Gesellschaft vorstellen: die albanische. Schließlich hat sie
gerade erst das »serbische Joch« der Multinationalität abgeschüttelt.

Das hätte man alles längst vorher wissen müssen. Die Führung der
Kosovo-Albaner, egal ob es sich um den Schöngeist Rugova oder die
Feldkommandanten der UCK handelt, hat aus ihren auf nationaler
Ausschließlichkeit beruhenden Positionen nie ein Geheimnis gemacht. Von
Beginn an falsch war auch die landläufige Meinung, daß sich im
Kosovo-Konflikt zwei Nationen unversöhnlich gegenübergestanden hätten:
die herrschende serbische und die unterdrückte albanische. Die Serben
haben nie einen Exklusivanspruch auf das Kosovo erhoben, wohl aber die
Albaner. Der Patriotismus der Kosovo-Serben war auf die serbische
Staatlichkeit, auf die staatliche Einheit Serbiens bezogen, nicht auf
nationale Vorrechte; der Patriotismus der Kosovo-Albaner zielte auf
Privilegien, auf ihre Anerkennung
als herrschende Nation im Kosovo. Dieses Privileg ist ihnen in der
jugoslawischen Verfassung von 1974 zuteil geworden. Das Kosovo war das
einzige ethnozentrisch begründete Gebilde in Jugoslawien. Dagegen blieb
Serbien, auch in der unter Milosevic verabschiedeten Verfassung als
»Republik der Bürger Serbiens«, nicht der Serben und damit multiethnisch
definiert.

Der autonome Status der Provinz war 1989 aufgehoben worden, weil er ein
Sprungbrett des Sezessionismus bildete und der ethnische Druck auf die
Nichtalbaner unerträglich geworden war. Die Beendigung der
Selbstverwaltung aber erfolgte erst, als das Parlament in Pristina den
Austritt des Kosovos aus Serbien beschlossen hatte. Die Provinz geriet
unter die direkte Jurisdiktion Belgrads, was sich eher als ein »Laissez
faire«-Regime erwies und Serbien einer Lösung der albanischen Frage
nicht näher brachte. Die Lösung konnte nur in der Reinstallierung der
Selbstverwaltung und der allseitigen Anerkennung des multiethnischen
Charakters des Kosovos liegen.
Das war die serbisch/jugoslawische Verhandlungsposition, der in
Rambouillet eine brutale Abfuhr erteilt wurde. Damals zogen es die
späteren Erbauer einer multiethnischen Zivilgesellschaft vor, die
ethnozentrische Position der albanischen Seite zu teilen und sie mit
Bomben und Granaten durchzusetzen. Denn das Prinzip der
Multinationalität kann politisch nicht korrekt sein, wird es von einem
»Schurkenstaat« vertreten.

Marie-Janine Calic, eine Südosteuropaexpertin, hält in einem Artikel
für »Die Zeit« fest, daß seit Mitte 1999 rund 237 000 Nichtalbaner aus
der Provinz vertrieben wurden. Als humanitärer Katastrophenfall wird
das deshalb noch lange nicht bezeichnet. Frau Calic zeigt vielmehr
Verständnis für die
Befürchtung der »Kosovaren«, worunter ausschließlich die Kosovo-Albaner
verstanden werden, »daß Belgrad die verbliebenen Serben benutzen
könnte, um territoriale Ansprüche und politischen Einfluß geltend zu
machen«. Zumal es keine Gelegenheit ungenutzt ließe, das Kosovo als
Teil Serbiens zu bezeichnen. Wer aber das völkerrechtlich legitimierte
Beharren Serbiens auf seine territoriale Unverletzbarkeit, was ohnedies
nicht konsequent geschieht, als (illegitime) territoriale Ansprüche
zurückweist, der affirmiert nicht nur die rechtswidrige Lostrennung des
Kosovos, sondern auch den völkischen Wahn, der ihr zugrunde liegt. Das
Besatzungsregime hat den künftigen Status des Kosovos als von Serbien
unabhängigen Staat präjudiziert. Wie es den ethnischen Minderheiten
nach der Unabhängigkeitserklärung erst ergehen wird, läßt sich mit
Schaudern erahnen.


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[ 6 ]

Aus: Neues Deutschland vom 26. März 2004

AUF DEN TRÜMMERN JUGOSLAWIENS - DIE MILITARISIERUNG DEUTSCHER
AUSSENPOLITIK
IM SPIEGEL DER ZERSCHLAGUNG EINES STAATES

Von Cathrin Schütz*

Im Zuge neuer Kriege gerät das Gedenken an den Angriff auf die
Bundesrepublik Jugoslawien in Vergessenheit. Die Aufarbeitung des
ersten Krieges, an dem die Bundesrepublik Deutschland militärisch
teilnahm, ist in weite Ferne gerückt. Auch in Deutschland erntet der
US-Amerikaner Michael Moore, der sich gegen Bushs Kriegspolitik im Irak
stellt und General Wesley Clarks Kandidatur im
Präsidentschaftswahlkampf unterstützte, viel Beifall. Clark, als
NATO-Oberkommandierender für Europa ein Hauptverantwortlicher für die
Bombardierung Jugoslawiens, sei der „Anti-Kriegskandidat“, erklärt
Moore seinen Anhängern aus dem linken Spektrum.

„Kollateralschäden“ wie die Bombardierung von Zivilisten in Varvarin,
von Splitterbomben durchsiebte Körper in Nis, vom Bombenhagel auf das
Gebäude von Radio-TV Serbien getötete Journalisten und Angestellten der
chinesischen Botschaft stießen, ganz wie die „humanitäre“
Militärintervention selbst, mit Ausnahme Griechenlands in der
Bevölkerung der NATO-Staaten auf geringen Widerstand. Auch das linke
Spektrum ließ sich von den Argumenten über
Humanität und Menschenrechte vereinnahmen und unterstütze - wenn auch
nicht einstimmig den militärischen - Kampf gegen das „Belgrader Regime“.

Die erste direkte deutsche Teilnahme an einem noch dazu
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg veränderte die deutsche Außenpolitik
maßgeblich: Kriege sind seitdem - nicht erst seit dem „11. September“ -
wieder legitimes Mittel der Politik. Kanzler Schröder selbst wunderte
sich, „wie wenig wahrgenommen worden ist, dass die Entscheidung zum
Krieg eine fundamentale Veränderung der deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik bedeutet hat.“

Die Bundeswehr wird zur globalen Interventionsarmee ausgebaut, um, so
Minister Peter Strucks verteidigungspolitische Richtlinien, Deutschland
auch am Hindukusch zu verteidigen. „Es geht ja nicht darum, dem
Militärischen einen unverdienten Raum zu geben, sondern diesen Aspekt
der Außenpolitik nicht zu tabuisieren, was lange gemacht wurde“, so
Schröder Ende 2001.

Diese Entwicklung war schon 1992 in den Richtlinien von CDU/CSU
vorgezeichnet. Nur war sie damals, vor dem „humanitären“ Krieg gegen
Jugoslawien, der Öffentlichkeit noch nicht in aller Klarheit zu
vermitteln.

„Ich finde es nur falsch, die Moral im Kurzschluß mit Fragen von Krieg
und Frieden zu verbinden, ohne das Moment des nationalen Interesses zu
berücksichtigen. ... Für die Zukunft sehe ich die erhebliche Gefahr,
dass die Bundesregierung, Koalition und Generalität ... Anlässe suchen
oder Anlässe schaffen werden, um die Barrieren abzuräumen, die es
gegenüber der Außenpolitik des vereinigten Deutschland noch gibt. Als
Vehikel dienen dabei die Menschenrechts- und die Humanitätsfragen." (1)
„Wo deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg gewütet haben, darf es keine
Einsätze geben. Ich wäre froh, wenn die, die das wollen, sich nicht
wenigstens andauernd hinter der Humanität verstecken würden, um eben
diese Position durchzusetzen", so Joseph Fischer - im Jahr 1994. (2)

Spätestens seit dem NATO-Krieg von 1999 gehören diese Grundsätze für
ihn zur Geschichte. Er stellte dann auch klar, dass er keine grüne
Außenpolitik mache, sondern deutsche. (3) Der Krieg gegen Jugoslawien
war der Türöffner für nachfolgende und bevorstehende Kriege. Noch
während des Bombardements verabschiedete die NATO ein neues
Strategiekonzept, das ihr das Recht zu offensiven „out-of-area“
Einsätzen gibt. Wurde der Völkerrechtsbruch im Krieg gegen Jugoslawien
noch thematisiert und mühsam unter den humanitären Teppich gekehrt,
spielen solche Überlegungen im andauernden Krieg gegen den Terror schon
fast keine Rolle mehr.

Die Bundesrepublik ist nicht „hineingeschlittert“

Um die Entwicklung bundesdeutscher Außenpolitik zu verstehen, sollte
der Blick nicht auf den militärischen Höhepunkt der Aggression gegen
Jugoslawien von 1999 beschränkt bleiben, in die Deutschland, folgt man
General a.D.
Heinz Loquai, keinesfalls als Bündnismitglied „hineingeschlittert“ ist,
sondern bereits im Frühjahr 1998 als erstes Land zu einer militärischen
Lösung zu tendieren schien. (4) Jugoslawien war für eine Emanzipation
bundesdeutscher Außenpolitik entscheidend und deren Beginn ist 1991 zu
verzeichnen.

Die Anerkennung von Slowenien und Kroatien im Dezember 1991 stellte ein
erstes massives außenpolitisches Auftreten der BRD dar. Im Alleingang
preschte die Regierung Kohl/Genscher trotz aller Warnungen auf der
internationalen Bühne hervor und vereitelte Verhandlungslösungen, die
die blutigen Bürgerkriege im auseinander brechenden Jugoslawien hätten
verhindern können. „Ungeachtet aller feierlichen Erklärungen über
Friedensverantwortung und Verzicht auf Machtstreben“, von der deutschen
Regierung gerade ein Jahr zuvor im Rahmen des
„Zwei-plus-Vier-Vertrages“ abgegeben, „mischte sich die Bundesrepublik
massiv in die inneren Angelegenheiten eines der Staaten der
Antihitlerkoalition ein. Deutschland, einig und wieder erstarkt, betrat
die außenpolitische Bühne und betrieb erstmals nach dem Zweiten
Weltkrieg wieder offen Großmachtpolitik – auf dem
Balkan, wo es schon zweimal in diesem Jahrhundert angetreten war und
schlimmes Unheil angerichtet hatte.“ (5)

Einen „Unabhängigen Staat Kroatien“ gab es schon einmal, 1941 als
Schöpfung Hitlers und Mussolinis, gestützt von der katholischen Kirche
und geführt von der faschistischen Ustascha. Ein halbes Jahrhundert
später wurde erneut ein
unabhängiges Kroatien unter dem Einfluß Deutschlands und des Vatikans
geschaffen, regiert von der Partei Franjo Tudjmans, die sich offen an
der Politik der Ustascha orientierte, die unter dem faschistischen
Führer Ante Pavelic einen der schrecklichsten Völkermorde des 20.
Jahrhundert begangen hatten, dem hunderttausende Serben zum Opfer
fielen. (6) Die Greueltaten der Ustascha gehören bis heute zu den am
wenigsten beachteten Verbrechen des Zweiten Weltkrieges. Wäre die
Erinnerung daran nicht nur in den Köpfen der serbischen Überlebenden
und Nachkommen verhaftet, hätte die deutsche Anerkennungspolitik wie
auch die mediale Darstellung des Konfliktes in Kroatien nicht so
unwidersprochen von statten gehen können.

Kurt Köpruner, als Geschäftsmann in den 1990ern viele Male im
zerfallenden Jugoslawien und Augenzeuge der Tragödie, erfuhr aus der
hitzigen Debatte um den drohenden Zerfall des Landes in Kroatien Ende
1990: „Sollte es wirklich zu einer Auflösung Jugoslawiens kommen, würde
das unmöglich ohne
schreckliche Gemetzel abgehen, mit hunderttausenden Toten“. (7) Warum
diese Überzeugung vorherrschte, dämmerte ihm, als er gelesen hat, wie
der Zweite Weltkrieg am Balkan verlaufen ist. Er erfuhr zum ersten mal
von Massenschlächtereinen der Ustascha, muslimischen und albanischen
SS-Divisionen.

Tudjman, der in den ersten Mehrparteienwahlen in Kroatien im Frühjahr
1990 die Präsidentschaft gewann und das Land 1991 mit Hilfe
Deutschlands in die Unabhängigkeit führte, verharmloste schon 1989 den
Holocaust im allgemeinen und die Ustascha-Verbrechen an Serben im
Vernichtungslager Jasenovac im speziellen.

Unter Tudjman kam es zu einer Wiedereinführung der Ustascha-Symbole und
-Ideale. Eine neue Verfassung erwähnte die Rechte von kroatischen
Serben mit keinem Wort. Ein „systematisch und von oben gesteuerter“
Terror gegen die Serben in Kroatien setze ein. Es kam zu
Massenentlassungen,
„Aufforderungen zum Verlassen des Landes wurden an die Häuser der
Serben geklebt.“ (8) In der von Tudjman als illegal erklärten
Volksbefragung entschieden sich die kroatischen Serben für den Verbleib
in Jugoslawien.

Monate vor Anerkennung und Kriegsausbruch kam es am 2. Mai 1991 zur
„Dalmatinischen Reichskristallnacht“. Mit Hilfe der ortsansässigen
Polizei zerstörten 2.000 Kroaten in einer mehrstündigen Aktion 116
serbische Geschäfte und Häuser in Zadar. (9) Am 16. Oktober 1991 folgte
die „Nacht der langen Messer“, in der über 100 serbische Zivilisten
gefoltert und
exekutiert wurden. (10) Die westlichen Medien schwiegen. Im Dezember
1993 hieß es einzig in der New York Times: „Nach einer Meldung des
neuen Zagreber Menschenrechtsbüros hat die Regierung von Kroatien
tausende ihrer Gegner zum Verlassen ihrer Häuser und des Landes
gezwungen. Die Taten sind hauptsächlich gegen Serben gerichtet, aber
auch gegen Kroaten, die sich in der Opposition zur Politik des
Präsidenten Tudjman befinden. Seit 1991 haben die kroatischen Behörden
zehntausende Häuser hauptsächlich von Serben, aber auch Häuser von
Kroaten in die Luft gesprengt... Ganze Familien wurden getötet.
Insgesamt sind etwa 280.000 kroatische Serben aus dem Land geflohen.“
Nach Susan Woodward hatte die kroatische Regierung schon 1993 alle
Serben vertrieben, die unter ihrer Kontrolle standen. (11) Es sei zu
fragen, ob „das die Demokratie ist, die die Serben, als einheimisches
Volk, die ein Drittel des von Tito geschaffenen kommunistischen
Kroatien bewohnten, akzeptieren sollten?", so die NYT, die im April
1997 ergänzte:
„Ist der Westen inzwischen so krank geworden, dass er dem kroatischem
Faschismus ein Leben nach dem Tod erlaubt?“

In wie weit das kroatische Volk, auch in Vorahnung des Blutvergießens,
die Politik Tudjmans getragen hat, bleibt offen. Die Volksabstimmung
der Kroaten über die Unabhängigkeit kann jedenfalls nicht als Maßstab
gelten, war sie doch alles andere als der im Westen gefeierte
„eindeutige und überwältigende Wille des kroatischen Volkes“. Auf die
Wähler wurde erheblicher Druck ausgeübt, um das Kreuz an der richtigen
Stelle zu setzen. (12)

Das Zerrbild von der serbischen Expansion

Die deutsche Anerkennung ist nicht nur hinsichtlich der kroatischen
Kräfte, die damit gestärkt wurden, zu hinterfragen. Auch aus
rechtlicher Sicht ergeben sich Einwände. Völkerrechtsexperten sind sich
mehrheitlich einig, daß die Sezession von Slowenien ein Vollzug des
Selbstbestimmungsrechtes der Völker war. In Kroatien und Bosnien, wo
ein Großteil aller nicht in Serbien lebenden Serben seit Jahrhunderten
in geschlossenen Gebieten siedelte, war sie jedoch völkerrechtswidrig.
(13)

Slobodan Milosevic machte wiederholt auf die Problematik aufmerksam. Er
stellte sich nicht gegen das Selbstbestimmungsrecht, sonderte forderte
das Recht für jedes Volk ein. „Er wies auf die über sechshunderttausend
in Kroatien lebenden Serben, die in einzelnen Regionen Slawoniens und
der Krajina klar die Bevölkerungsmehrheit stellten. Auch diesen müsse
das Selbstbestimmungsrecht zugestanden werden. Die bisherigen
Republiksgrenzen in Jugoslawien ... seien reine Verwaltungsgrenzen.“
(14)

Serbien zeigte sich um die Verhandlung der Grenzen bereit und warnte
davor, dass eine Partei – wie dann durch die deutsche Anerkennung
geschehen - vollendete Tatsachen schaffe, die eine unkontrollierbare
Eskalation bedeuten würde. Von den Serben wurde mit der Aufgabe ihrer
historischen Gebiete Unmögliches gefordert. Die Serben „haben Slowenien
verabschiedet. Sie hätten auch Kroatien ohne die Krajina entlassen. Da
es der Wille der dort lebenden Serben war, wollte Belgrad die Krajina
an das Mutterland binden. Kroatien
und später Bosnien aber wollten historische serbische Gebiete in die
Unabhängigkeit mitnehmen.“ (15)

Charles Boyd, stellvertretender Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in
Europa, stellte sich 1995 in Foreign Affairs gegen das „landläufige
Bild dieses Krieges als einer unerbittlichen serbischen Expansion.“ Ein
großer Teil von dem, was die Kroaten die „besetzten Gebiete“ nennen,
sei Land, das den Serben seit mehr als drei Jahrhunderten gehöre.
„Dasselbe gilt für die meisten serbischen Gebiete in Bosnien, von denen
die westlichen Medien häufig als den 70 Prozent Bosniens sprechen, die
von rebellischen Serben eingenommen sind. Kurz, die Serben versuchten
nicht, neues Territorium zu erobern, sondern lediglich an dem
festzuhalten, was ihnen bereits gehörte."

Die Milosevic-Regierung forderte das Recht auf Selbstbestimmung auch
für die serbische Bevölkerung und warnte vor einer Wiederholung der
Verbrechen des Zweiten Weltkrieges. „Als die Kroaten ihre
Unabhängigkeit verkündeten, gaben sie den Serben in ihrem eigenen
Gebiet - und es gibt 600.000 von ihnen - keinerlei Garantien. Es war
deshalb verständlich, dass die Serben sehr besorgt waren. Vor allen
Dingen, wenn wir uns an die Verbrechen der Ustascha
während des zweiten Weltkriegs erinnern“, so Lord Carrington. Doch als
man einer Lösung für das Krajina- und Slawonienproblem nahe stand,
„beschloß die Europäische Gemeinschaft Ende des Jahres 1991, Slowenien
und Kroatien
anzuerkennen. Kroatien bekam was es wollte, Slowenien ebenso, und sie
hatten kein Interesse mehr an der Fortsetzung der Friedenskonferenz.
Hans Dietrich Genscher wollte internationale Anerkennung für Slowenien
und Kroatien. Praktisch alle anderen lehnten dies ab." (16)

Doch die Ängste, die bei Serben erwachten, wurden ignoriert und als
aggressives „Großserbien“-Projekt dargestellt. (17)

Fremde Staaten begannen schnell, sich in den Konflikt einzumischen.
Deutsche Militärinstrukteure waren in Kroatien tätig und die Bundeswehr
nahm an Luftraumüberwachungen und der Schnellen Eingreiftruppe in
Bosnien teil.
Illegale deutsche Waffenlieferungen erfolgten, teils über den deutschen
Geheimdienst, an Slowenien und Kroatien. (18) Die USA stellten sich
gegen Serben und unterstützte Kroaten und Bosnische Muslime.
„Schließlich haben die NATO-Mächte den kroatischen Nationalismus
unterstützt und 1995 konnte Tudjmans Armee, ausgebildet von den
US-Offizieren und illegal von der »internationalen Gemeinschaft«
aufgerüstet, die ethnische Säuberung der Krajina-Serben erfolgreich
beenden, die 1941 mit der Unterstützung der Nazis begonnen hatte.“ (19)
Die so genannte „Operation Sturm“, die brutalste Kampagne ethischer
Säuberung im auseinander brechenden Jugoslawien, wurde neben dem
Kroaten Ante Gotovina laut dem etablierten Militärjournal Jane’s
Defense vom späteren kosovo-albanischen UCK-Führer Agim Ceku geplant
und durchgeführt.

Im Falle Bosniens waren es die USA, die zur Anerkennung drängten.
Wieder wurde der Konflikt als Ergebnis einer serbischen Aggression
bezeichnet. Doch der frühere US-Außenminister Henry Kissinger
definierte den Konflikt als einen von drei Seiten geführten Bürgerkrieg
und keine Invasion, die gegen einen souveränen Staat von einem
Nachbarstaat geführt wird. „Kroatien und Serbien unterstützen ihre
Landsleute in Bosnien. Der am wenigsten zu verantwortende Fehler in der
gegenwärtigen bosnischen Tragödie war die internationale Anerkennung
des bosnischen Staates unter der Führung der Moslems. Deutschland gab
ein Beispiel mit der vorzeitigen Anerkennung von Slowenien und
Kroatien, und nach diesem Vorbild schuf die internationale
Gemeinschaft alle neu gegründeten Staaten im Gebiet des früheren
Jugoslawiens.“ (20)

Der NATO-Einsatz in Mazedonien, wo 2001 der Kampf aus dem Kosovo heraus
operierender albanischer Rebellen eskalierte, war in Deutschland
umstritten. Die „Entscheidung gegen einen Einsatz der Bundeswehr wäre
ein wichtiger und
äußerst wertvoller Schritt hin zu einer Wende in der deutschen Politik
und bliebe nicht ohne Bedeutung für die zukünftige Politik in Europa
und selbst das Verhalten der USA“, so Knut Mertens von Bündnis 90/Die
Grünen. (21) Der Bundestag jedoch hat dem Einsatz „Essential Harvest“,
bei dem es nicht um friedliches Waffeneinsammeln, sondern einen klaren
Kampfeinsatz der NATO bzw. Bundeswehr ging, am 30.8.2001 zugestimmt.
(22)

Obwohl Gernot Erler (SPD) bei seiner Werbung für den Einsatz deutscher
Soldaten dessen zeitliche Begrenzung beteuerte, wurde die
Nachfolgeoperation „Amber Fox“ vom Bundestag am 27.9.2001 beschlossen.
Nahezu unbemerkt übernahm Deutschland im Schatten des 11. September die
Leitung des
NATO-Mandats in Mazedonien.

Wer verantwortet die Gewalt im Kosovo?

Dem NATO-Krieg von 1999 war die Stationierung deutscher Truppen im
Kosovo im Rahmen der KFOR gefolgt. Unter dem tolerierenden Auge von
NATO und UNO gedeiht nicht nur die organisierte Kriminalität.
Dauerhaft, geplant und eben wieder massiv eskalierend geht die
ethnische Säuberung des Kosovo von allen Nicht-Albanern von statten.

Entgegen den offiziellen Bekundungen, die UCK zu entwaffnen und ein
multikulturelles Kosovo wiederherzustellen, haben vor allem die USA und
die BRD durch die Unterstützung des Kosovo-Schutzkorps den Terror im
Kosovo nach dem NATO-Krieg finanziert. Alle anderen Länder hatten die
Unterstützung des aus ehemaligen UCK-Kämpfern gebildeten Korps
eingestellt, nachdem bewiesen war, dass Morde und Gewalttaten auf ihr
Konto gingen. (23) Hintergrund der in einem Erlass des US-Präsidenten
von 1999 formulierten Anweisung, die UCK in terroristischen Taktiken
auszubilden, war offenbar der Gedanke, etwa im Falle eines Wahlgewinns
von Milosevic mit ihrer Hilfe eine neue Krise
entzünden zu können. (24)

Ob die aktuellen koordinierten Gewalt- und Verteibungsakte von
ausländischen Kräften gestützt werden oder nicht, sie haben diese
Gewalt mit zu verantworten. In der schon 1998 vorherrschenden Praxis
wird die terroristische Gewalt der albanischen Kämpfer, die von je her
für ein „ethnisch reines Kosova“ eintreten, beiden Seiten
zugeschrieben. Auch jetzt
fordert der UNO-Sicherheitsrat in absurder Verdrehung der Gegebenheiten
„die serbische und die kosovo-albanische Seite auf, ihre Gewalt
einzustellen“.

Die Wiederherstellung eines multikulturellen Kosovo gehörte lange schon
zu den Märchen, die nur jene glaubten, die da meinten, die NATO habe
1999 aus „humanitären Gründen“ interveniert.

* Von Cathrin Schütz erschien Ende 2003 das Buch „Die NATO-Intervention
in Jugoslawien. Hintergründe, Nebenwirkungen und Folgen“ beim Wilhelm
Braumüller Verlag in Wien

Anmerkungen:

(1) Die Woche, 30.12.1994

(2) Fischer zit. in: Horst-Eberhard Richter, IPPNW zum
Jugoslawienkrieg, http://www.nato-tribunal.de/

(3) Vgl. Stern, 24.3.1999

(4) Vgl. Heinz Loquai, Weichenstellungen für einen Krieg, Nomos,
Baden-Baden 2003, S. 44f.

(5) Ralph Hartmann, Die ehrlichen Makler, Dietz Verlag, Berlin 1999, S.
13

(6) Nach dem Zweiten Weltkrieg floh Pavelic über Rom nach Argentinien
und starb 1954 in einem deutschen Krankenhaus in Madrid, nachdem ihm
Papst Pius XII den persönlichen Segen erteilt hatte. Der kroatische
Völkermord an den Serben wurde bis heute weder angemessen verurteilt
noch ernsthaft studiert. Bei der Eröffnung des Holocaust-Museums in
Washington wurde die Geschichte pervertiert: die Kroaten waren als
US-Verbündete eingeladen, die Serben nicht. Diese und folgende
Darstellungen beziehen sich in weiten Teilen auf
die Ausführungen von Diana Johnstone, Fool’s Crusade, Yugoslavia, NATO
and Western Delusions, Monthly Review Press, New York 2002

(7) Kurt Köpruner, Reisen in das Land der Kriege, Espresso, Berlin
2001, S. 27

(8) Malte Olschewski, Von den Karawanken bis zum Kosovo. Die geheime
Geschichte der Kriege in Jugoslawien, Braumüller, Wien 2000, S. 34

(9) Köpruner, S. 42ff.; Olschewski, S. 34

(10) Vgl. Olschewski, S. 38

(11) Die andere Hälfte befand sich in der Krajina und in Teilen
Kroatiens, die nicht unter Tudjmans Kontrolle standen. Diese wurden
1995 in der Operation Sturm mit der Unterstützung der US-Regierung
vertrieben.

(12)Vgl. Köpruner, S. 51ff.

(13 Vgl. Olschewski, S. 14

(14) Köpruner, S. 31

(15) Olschewski, S. 14

(16) Profil, 1. Dezember 1993

(17) Das angebliche Ziel Milosevics, ein Großserbien zu errichten,
bleibt bis heute seiner Beweise schuldig. Wie Ralph Hartmann aufzeigt,
kann Milosevics „Amselfeld-Rede“ nur dann zum Beweis seiner
„aggressiven“, „nationalistischen“ Linie hervorgezogen werden, wenn sie
durch Kürzungen Sinn entstellt wird.

(18) Vgl. u.a. Olschewski, S. 78, 80

(19) Die Verwicklung der USA in die Operation wurden am 28.2.2002 im
US-Kongreß offen angesprochen. Vgl. „The U.N. Criminal Tribunals for
Yugoslavia and Rwanda: International Justice or Show of Justice?“,
Hearing before the Committee on International Relations, House of
Representatives, 107th Congress

(20) Washington Post, 17. Mai 1993

(21) Knut Mertens, Neues NATO-Protektorat oder ehrliche
Friedenspolitik?, Zeit-Fragen, 20. August 2001, 9. Jg., Nr. 33, S.1

(22) Vgl. Tobias Pflüger, Krieg, und zwar richtig, junge Welt, 23.8.2001

(23)Vgl. Interview mit dem US-Kongreßabgeordneten Dennis Kucinich von
Cathrin Schütz, Wird Sanktionspolitik bald beendet? Interview mit
Dennis Kucinich, junge Welt, 7.10.2000.

(24) Vgl. Dennis Kucinich, What I learnt from the War, The Progressive,
August 1999

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