Haager Siegerjustiz am Ziel

1. Gedenken an Slobodan Milosevic (junge Welt)

2. Wien: Kondolenzveranstaltung, Diskussion, Kondolenzbuch u.
Gedenkkundgebung
-> Haager Siegerjustiz am Ziel - Milosevic ist tot (JoeSB)

3. »Kein natürlicher Tod« (J. Elsässer / jW)


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http://www.jungewelt.de/2006/03-14/033.php

14.03.2006 / Inland / Seite 05

Gedenken an Slobodan Milosevic

Berlin. Mit einer Reihe von Veranstaltungen wird auch außerhalb
Serbiens des ehemaligen Präsidenten Jugoslawiens gedacht. Den Auftakt
bildet eine Pressekonferenz des Internationalen Komitees zur
Verteidigung Slobodan Milosevics am heutigen Dienstag in Den Haag. Es
spricht unter anderem die von Milosevic bevollmächtigte Anwältin
Tiphaine Dickson. Am Mittwoch findet in Berlin eine Trauerfeier statt
(20 Uhr, Restaurant Avamor, Uhlandstr. 120, U-Bahnhof Blissestraße).
Es sprechen unter anderem Gordana Milanovic, Exbotschafter Ralph
Hartmann und jW-Mitarbeiter Jürgen Elsässer. Am Freitag wird das neue
Buch »Die Zerstörung Jugoslawiens – Slobodan Milosevic antwortet
seinen Anklägern« auf der Buchmesse Leipzig vorgestellt (12.30 Uhr,
Halle 3, Stand C506). Für das Wochenende 24. und/oder 25. März, dem 7.
Jahrestag des Beginns des NATO-Angriffes auf Jugoslawien, ist eine
zentrale Veranstaltung, eventuell auch eine Demonstration in Berlin im
Gespräch. (jW)


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Kondolenzveranstaltung für das Symbol des serbisch-jugoslawischen
Widerstands gegen die „Neue Weltordnung"

Diskussion der Jugoslawisch-Österreichischen Solidaritätsbewegung (JÖSB)
Fr 17.3. 19h
4, Gußhausstr 14/3
Kondolenzbuch für den verstorbenen Präsidenten Slobodan Milosevic
liegt auf

Gedenkkundgebung 7. Jahrestag der Nato-Aggression
Fr 24.3. 17h
Stephansplatz

Slobodan Milosevic, der Inbegriff des Bösen in den 90er Jahren, ist
tot. Indes gibt es an Bösem nach wie vor keinen Mangel. Es scheint
sogar ständig nachzuwachsen und sich zu vermehren: Saddam Hussein,
Ahmedinejad oder gleich ein ganzes Volk, die wie Palästinenser, die in
einer Wahl dem Bösen den Vorzug geben. Überall neue Hitler, die es mit
Feuer und Schwert zu bekämpfen gelte, die nur mit dem totalen
Präventivkrieg niedergehalten werden könnten.

So oder ähnlich lautet heute die Weltsicht der Herrschenden in
Washington. Es war Milosevic' Verbrechen oder Verdienst – je nach
Interessenslage – als erster Staatsmann sich der Neuen Weltordnung
entgegengesetzt zu haben. Dafür wurde er zum neuen Hitler, zum
Schlächter des Balkans erklärt, wie die Kronenzeitung anlässlich
seines Todes nicht müde wird zu wiederholen.

Damals, unter Clinton, gab sich die Neue Weltordnung noch liberal. Die
Hohlheit und der Zynismus der Dreifaltigkeit von Wohlstand, Demokratie
und Frieden von Washingtons Gnaden waren noch nicht offensichtlich.
Heute, zehn Jahre danach, zeigt sich die tyrannische Fratze des
American Empire ungeschminkt. Angesichts seines Todes geht es darum
gegen die Geschichtsklitterung der Politjustiz der Sieger Milosevic'
Kampf Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Milosevic war weder revolutionär noch wollte er den Westen
herausfordern. Er wollte nichts mehr als sein Land nicht den
Finanzhaien von IWF und Weltbank ausliefern sowie einige der sozialen
Errungenschaften für die breiten Massen erhalten. Gleichzeitig ging es
ihm um die Bewahrung der politischen Souveränität gegenüber Berlin und
Wien, die als Kreuzritter der Neuen Weltordnung gegen den letzten
verbliebenen realsozialistischen Staat fungierten. Doch es war die
historische Lehre von 1989/91, dass dies nicht ungestraft möglich ist.

Berlin setzte die Brechstange bei den nationalen Konflikten an. Diese
waren wie in so vielen Staaten – auch westlichen wie Spanien (Basken)
oder Großbritannien (Iren) – zwar vorhanden aber in ihrer Intensität
reichten sie an die Unterdrückung, wie sie in pro-westlichen
Diktaturen üblich ist keiner Weise heran. Als Beispiele sei die
brutale militärische Unterwerfung der Kurden durch die Türkei und der
Palästinenser durch Israel genannt.

In einem nach Religionen, Nationalitäten und Nationen stark
durchmischten Staat musste die vom Westen beförderte nationale
Selbstbestimmung zur Trennung und in der Folge zu dem führen, was
später „ethnische Säuberung" heißen sollte (natürlich nur bei denen,
die sich gegen den Westen stellten). Logisches Ergebnis war nicht nur
ein brudermörderischer Krieg, sondern auch der tatsächliche Verlust
der Selbstbestimmung und die spätere Eingliederung in das
Amerikanische Reich. Denn trotz aller Schwierigkeiten war Jugoslawien
einer der weltweit gelungensten Versuche des Zusammenschlusses bei
Erhalt der Vielfältigkeit sowie der Erlangung realer Souveränität.

Milosevic' größter Fehler war es, an die Friedenswilligkeit und
-fähigkeit des Westens geglaubt zu haben. Im Abkommen von Dayton
stimmte er nicht nur dem fatalen und letztlich völkermörderischen
Prinzip Kohl-Mock der Trennung zu, sondern verzichtete nach diesem
auch auf Serbien zustehende Territorien wie die Krajina.

Doch für den Westen war das noch lange nicht genug. Letztlich ging es
um ein präzises Ziel wie im Irak, im Iran und gegenüber sonstigen
„Schurkenstaaten": regime change, Installation eines
Marionettenregimes. Den Serben wurde dementsprechend Selbstbestimmung,
in deren Namen der Westen Krieg führte, systematisch verweigert. Das
Gerede von den Menschenrechten war nur Camouflage.

Und so trieben sie die Aggression nach dem Muster, wie es sich später
gegen andere Länder wiederholen sollte, systematisch voran. Der
westliche Zynismus gipfelte in der humanitären Katastrophe, die sie im
Kosovo durch ihre Intervention auslösten und die das Bombardement
Serbiens medial rechtfertigen sollte. Letztlich zwang man das
serbische Volk mit Embargo und Bombenterror in die Knie, so dass sie
Milosevic und ihre Selbständigkeit aufgaben. Denn Milosevic'
Widerstand war letztlich nur durch den Widerstand des Volkes möglich.

Das folgende hörige Regime verkaufte alles an den Westen und machte
Serbien zu einer Neokolonie wie sie der Rest Osteuropas bereits war.

Was als Bruchpunkt bleibt ist der Kosovo. Zwar wurde der größte Teil
der Serben vertrieben so wie überhaupt entgegen der Suggestionen der
Medien die meisten Vertriebenen im ehemaligen Jugoslawien Serben sind.
Doch für das serbische Volk ist der Kosovo ein Symbol ihrer
Selbständigkeit und Existenz. Selbst die schlimmste prowestliche
Handlangerregierung weiß das und muss darauf Rücksicht nehmen. Bei den
gerade in Wien stattfindenden Verhandlungen geht es daher letztlich
darum, wie viel die westlichen Hampelmänner dem Volk zumuten können
ohne zu stürzen. Am gordischen Knoten Kosovo zeigt sich: wenn zwei
Nationalitäten begründeten Anspruch erheben kann es nur eine
gemeinsame Lösung geben und die hieß Jugoslawien oder besser sogar
Balkanföderation.

Dazu müssen nicht nur die westlichen Truppen weg, sondern auch alle
Marionettenregime – womit wir wieder beim Vermächtnis Milosevic'
wären, nämlich dem Kampf für die Selbständigkeit gegen den westlichen
Imperialismus.

Dafür sollte er durch das Haager Tribunal stellvertretend für das
serbische Volk bestraft werden wogegen er sich standhaft verteidigte.
Sein Tod setzt dem in Schwierigkeiten geratenen Schauprozess ein Ende
und liegt damit voll in dessen Interesse. Die nicht ausreichend
gewährten Prozessunterbrechungen, die feindliche Ärzteschaft und die
verweigerte Behandlung in Moskau leisteten dem Tod Milosevic'
zumindest Vorschub.

Was uns bleibt ist die Hauptverantwortlichen für das jugoslawische
Drama, den westlichen Imperialismus und die Nato, beim Namen zu benennen.

Auflösung des Haager Tribunals!
Schluss mit der westlichen Truppenpräsenz und den Protektoraten!
Für eine antiimperialistische Balkanföderation!

Jugoslawisch-Österreichische Solidaritätsbewegung
Wien, 14. März 2006

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Jugoslawisch-Österreichische Solidaritätsbewegung
PF 23, 1040 Wien
joesb @ vorstadtzentrum.org
http://www.vorstadtzentrum.org/joesb
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http://www.jungewelt.de/2006/03-14/001.php

14.03.2006 / Titel / Seite 01

»Kein natürlicher Tod«

Autopsie von Milosevic: Russischer Außenminister äußert Zweifel.
Niederländische Sachverständige erhebt schwere Vorwürfe

Von Jürgen Elsässer

Auch nach der Autopsie der Leiche Slobodan Milosevics am Sonntag gibt
es keine Klarheit über die Todesursache. Das offizielle Kommuniqué der
niederländischen Ärzte, die unter Hinzuziehung eines serbischen
Kollegen die mehrstündige Untersuchung vorgenommen hatten, geht von
einem Herzinfarkt aus, räumt jedoch ein, daß dessen Gründe bis auf
weiteres offen seien. Weitere toxikologische Untersuchungen seien im
Gange.

Im niederländischen Staatssender NOS vertrat unterdessen Heikelina
Verrijn Stuart – eine regelmäßige Prozeßbeobachterin, die auch für
amnesty international arbeitet –, daß der Tod unmittelbar von
Medikamenten verursacht worden sei, die man im Blut Milosevics
gefunden habe. »Was wir wissen, ist, daß dies die Ursache des Todes
ist, und man kann nicht sagen, daß es sich wirklich um einen
natürlichen Todesfall handelt.« Bei den Substanzen handelt es sich um
Medikamente gegen Lepra und Tuberkulose, unter anderem Rifampicin.
Diese hoben die Wirkung der blutdrucksenkenden Mittel auf, die
Milosevic eingenommen hatte.

Auch der vom Haager Tribunal beauftragte Gerichtsmediziner Donald Uges
bestätigte das Vorhandensein dieser Substanzen im Körper Milosevics.
Unklar blieb jedoch, wann genau sie festgestellt worden sind. Während
die Nachrichtenagentur AP berichtete, Uges habe sie bei einer
Untersuchung »zu Anfang des Jahres« diagnostiziert, gab die
Online-Ausgabe der Welt mit Verweis auf Uges den Zeitpunkt mit »vor
zwei Wochen« an. Ob auch die postume toxikologische Untersuchung die
Medikamente nachgewiesen hat, war bei Redaktionsschluß offen.

Uges beschuldigte den Verstorbenen, er habe durch die Einnahme der
Medikamente »eine medizinische Behandlung in Rußland erzwingen
wollen«. Zuvor hatte Spiegel-Online eine andere Variante der
Schuldzuschreibung präsentiert. Es habe »Berichte eines russischen
Arztes gegeben, nach denen der an Bluthochdruck leidende 64jährige
seine Tabletten heimlich ausgespuckt haben soll«, hieß es auf der
Website am Sonntag abend, wie üblich ohne jede Quellenangabe.

Diese Erklärungen stehen im Widerspruch zu der Tatsache, daß Milosevic
selbst und als erster auf die Feststellung der gefährlichen Substanzen
bei einer Blutuntersuchung im Januar hingewiesen hat, und zwar in
einem Brief an die russische Botschaft vom 10. März (siehe jW von 13.
März). »Sie würden mich gerne vergiften«, hatte der Inhaftierte am
selben Tag geklagt, berichtete sein Rechtsbeistand Zdenko Tomanovic.
Das russische Außenministerium bestätigte, daß der Brief am Samstag
eingegangen ist. Schon nach Auffinden des Toten hatte das Ministerium
kritisiert, daß der Antrag des Inhaftierten auf ärztliche Behandlung
in Moskau Ende Februar abgewiesen worden sei, obwohl die Regierung in
Moskau für seine Rücküberstellung nach Den Haag garantiert habe.
Bereits vor zwei Jahren hatte Milosevic beobachtet, wie sein Essen,
das sich äußerlich von dem seiner Mitgefangenen nicht unterschied, von
einem Wärter hektisch ausgetauscht wurde. Die Richter gingen dem
alarmierenden Hinweis damals nicht nach. Außenminister Sergej Lawrow
zeigte sich am Montag mißtrauisch über das Ergebnisse der Obduktion
und kündigte die Entsendung russischer Ärzte nach Den Haag an.

In Serbien selbst gibt es ein Tauziehen um die Beisetzung des Toten.
Die Stadtverwaltung von Belgrad, die von der prowestlichen
Demokratischen Partei (DS) dominiert wird, sowie Präsident Boris Tadic
(ebenfalls DS) lehnen ein feierliches Begräbnis in der Hauptstadt
kategorisch ab.